Das kunstseidene Mädchen - Bild 01

Das kunstseidene Mädchen

von Irmgard Keun | Städtische Bühnen Münster 1999

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Besetzung

Cornelia Kupferschmid

Team

Inszenierung / Ausstattung: Julia Heymann

Kritiken

Münstersche Zeitung | 10.06.2004 | von Esther Horn

Bitterer Ehrgeiz

„Wir sind ja doch nur gut aus Liebe – und böse oder gar nichts aus Unliebe...Liebe ist so ungeheuer viel, nicht?“ Diese Erkenntnis, die gleich hinterfragt wird, spricht Doris aus, Protagonistin des Stückes „Das kunstseidene Mädchen“. Cornelia Kupferschmid spielte den Monolog in Münsters Wolfgang Borchert Theater. Dieser Grundtenor von Unsicherheit und Doppeldeutigkeit der ausgesprochenen Worte prägt die Arbeit von Jungregisseurin Julia Heymann und ihrer Hauptdarstellerin.

Sehr facettenreich geben sie einer Figur des 30er-Jahre-Deutschlands Gestalt, einer Mädchenfrau, die mit nicht viel mehr als dem Ehrgeiz, etwas Besseres zu werden, ihrer kleinbürgerlichen Herkunft den Kampf ansagt – zunächst. Das Kammerspiel nach der 1932 erschienen Romanvorlage von Irmgard Keun dreht sich vornehmlich um die Sehnsucht einer Frau nach einem anerkannteren Leben im „Swinging Berlin“. Doch in den damaligen Verhältnissen kann sie auf nicht viel mehr zurückgreifen als auf ihre Jugend, ihren Sexappeal und auf Beziehungen zu Männern am Rande der Prostitution.

Die Tragik der Suche nach echter Liebe hinter Abhängigkeitsverhältnissen, nach Bühnenerfolg ohne erkennbares Talent, das alles formt Kupferschmid sehr komplex. Schön falsch ihr Vorsingen von „Ach, wenn die Elisabeth“, berührend die Momente, in denen die Darstellung der emotional Gepanzerten den Blick auf ihre eigentliche Verlorenheit freigibt.

Heymanns Inszenierung im Foyer des Theaters – eine Bar ist ja zeitloser Fokus für Schicksalhaftes – nutzt präzise den Raum, um auch innere Räume der Protagonistin zugänglich zu machen. Wenn Doris über das Verhältnis zu ihrer Mutter nachdenkt, tritt Kupferschmid hinter das Publikum und zwingt den Zuschauer zu einer unbequemen Drehung – eine Rückschau im doppelten Sinne.

Die Inszenierung schlägt den Bogen zu den traurigen Schicksalen mancher Hollywood-Diven, zur verbissenen Medienpräsenz einer Verona Feldbusch oder Susan Stahnke und zu den Supersatrversuchen des sogenannten Normalbürgers.
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Münstersche Zeitung | 10.12.1999 | von Hendrik Kafsack

Sie möchte glänzen

Am Anfang steht die Schauspielerin stumm in der Ecke, hockt auf gepackten Koffern oder kauert an der Bar. Die in jüngerer Zeit wieder häufigeren Inszenierungen des „kunstseidenen Mädchens“ von Irmgard Keun gleichen sich. Dennoch unterscheiden sich alle Aufführungen des 1932 geschriebenen, aber durchaus auch heute aktuellen Ein-Frau-Stücks über den Aufstieg und Fall eines einfachen Mädchens, das vom Lande nach Berlin reist. Es sind die Mimik, die Stimme der jeweiligen Schauspielerin, die Doris, der Titel-„Heldin“, individuelles Leben einhauchen.

Forsch und mit ausdrucksstarken Mienenspiel nähert sich Cornelia Kupferschmid von den Städtischen Bühnen im münsterschen Theatercafé dem Charakter der naiven Doris, die „ein Glanz werden will“. Locker und mit hintergründigem Lächeln erzählt sie Anekdoten über ihren Ex-Geliebten Hubert, ihren bauernschlau eingefädelten Aufstieg zu Star-Nebenrolle auf der Kleinstadtbühne und ihren Weg hinaus aus dem Heimatdorf, „das ein Rheinland ist, ein Dreckloch“, in die große Stadt.

Souverän spielt sie mit den dankbaren grammatikalischen Verwirrungen und den farbenfroh-übertriebenen Bildern der Doris. Mal ist eine Stimme geölt, als „wenn er eine ganze Dose Niveacreme aufgeleckt hätte“, dann ist von Mädchen die Rede, die aus zwei Hälften bestehen.

Starken Eindruck hinterläßt Kupferschmid vor allem dann, wenn sie die Verzweiflung des Mädchens über die gesellschaftlichen Mißstände in der Hauptstadt spielt. Die Schauspielerin verkörpert den inneren Schmerz, die Müdigkeit über die Ausbeutung der armen Frauen, die Keun in diesem klassischen Stück der „Neuen Sachlichkeit“ schildert. Der rasche Stimmungswechsel von begeisterter Erzählung und wütendem Aufbäumen gegen Konventionen gelingt Kupferschmid überzeugend. Was der jungen Schauspielerin jedoch jedoch fehlt und was möglicherweise von Regisseurin Julia Heymann bewußt ignoriert wurde, ist der naiv-verträumte Drang der Hauptperson, aus der Anonymität herauszutreten, zur Gesellschaft zu gehören und als Person anerkannt zu sein. Der zentrale, immer wieder hervorgestoßene Wunsch, „ein Glanz zu werden“, wird bei Kupferschmid zum banalen Synonym für den „Glamour“ der oberen Zehntausend und so letztendlich als wertlose Träumerei abgelegt. Der so wichtige innere Konflikt des Mädchens, das brennen möchte, nicht verbrennen, geht dadurch verloren.
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Westfälische Nachrichten | 10.12.1999 | von Susanne Lang

Wo ist der großartige Glanz der Metropole?

Endstation Bahnhof Friedrichstraße. Kräuselnd bahnt sich der Rauch ihrer Zigarette den Weg nach oben. Schweigend folgt die zierliche Frau auf dem Barhocker den zarten Gebilden das Rauches. Verträumt sieht sie zu, wie sich dicke, kleine Wölkchen vor den lockenden Reklamepostern einer Revue festsetzen und sich langsam zu undefinierbaren Schaden verflüchtigen. Endlich einmal dort oben sein, eine Film- und Theater-Diva, ein Model oder eine angesehene, begehrte Dame der Gesellschaft. Dieser Traum scheint aus dem zart verschleierten Leuchten ihrer Augen zu springen, als sich „das kunstseidene Mädchen“ ihren Zuhörern zuwendet.

Es ist die glänzende Illusion der einfachen Stenotypistin Doris, der versponnenen Traumkünstlerin aus Irmgard Keuns Roman „Das kunstseidene Mädchen“, das die Schauspielerin Cornelia Kupferschmid am Mittwochabend im ausverkauften Hinterzimmer des Theatercafés bei der Premiere der gleichnamigen Bühnenfassung von Gottfried Greiffenhagen feinfühlig zerplatzen ließ.

Eine Frau zwischen nackter Einsamkeit, ärmlichem Alltagsfristen und der Flucht in die glitzernde Welt der Schönen, Reichen und Begehrten im Berlin der 30er Jahre – diese innerliche weibliche Kluft zwischen Sein und Schein hat Irmgard Keun in ihrem Roman mit zutiefst sinnlicher und hintergründig sarkastischer Sprache seziert. Die Inszenierung der Regiedebütantin Julia Heymann vertraut auf die sprachliche und kompositorische Stärke der Romanvorlage und läßt Kupferschmid jede Freiheit zur gestisch-mimischen Verbildlichung.

Naiv kindlich, verführerisch lasziv und melancholisch, dabei stets sensibel führt Kupferschmid die in filmisch anmutender Montagetechnik erzählten Lebenssequenzen der scheiternden Doris vor Augen und zieht ihre Zuschauer in ihren Gefühlsstrudel. „Ein Glanz ist das Großartigste was es gibt“, haucht sie immer wieder als letztes Lebenselexier in den kleinen Raum, bunt ausgeschmückt mit ihren zahlreichen mißglückten Versuchen, diesem Traum ein Stückchen näher zu kommen. Einmal als kalkulierende Intrigantin am Provinztheater, wo sie einer Schauspielschülerin mit List den Satz stiehlt und endlich einen Sprecheinsatz erhascht.

Ein andermal als berechnende Liebesjongleurin, wenn sie mit den Waffen einer Frau verzweifelt auf Männerfang in höheren Kreisen geht. Und nicht zuletzt als Diebin eines „wunderschönen“ Pelzmantels, mit dem sie in der schillernden Metropole Berlin den großen „Glanz“ endlich finden will. Ab und an schöpft Kupferschmid die subtile komische Tragik des Stückes nicht aus und die Nuancen zwischen Hochgefühl und Resignation gelingen ihr nicht immer. Doch erreicht die Schauspielerin eine starke emotionale Wirkung, die über ihren einsichtigen Schlußsatz hinaushallt: „Auf den Glanz kommt es vielleicht gar nicht so furchtbar an“.
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