Gierig - Bild 01

Gierig – Gefährliche Liebschaften

Von Nicolai Borger nach Choderlos de Laclos | Saalbau Neukölln 2004

Gierig - Bild 01
Gierig - Bild 02
Gierig - Bild 03
Gierig - Bild 04
Gierig - Bild 05
Gierig - Bild 06
Gierig - Bild 07
Gierig - Bild 08

Besetzung

Irene J. Holzfurtner, Helen Kurkjian, Kathrin Suckfiel, Tina Zaman,
Rubén Bravo, David Bredin, Tobias Kaufhold, Chris Urwyler

Team

Kostüme: Holger Schwarting
Bühne: Jaroslaw Broitman
Inszenierung: Julia Heymann

Kritiken

Berliner Morgenpost | 03.04.2004 | von Jessica Cohen

Dia-Bolische Zeiten

Der Saft der Gier fließt in seinen Adern, wie bei anderen Menschen das Blut: Der Musikproduzent David Chabo Harms (David Bredin) hat Geld und in der Medienbranche eine gute Portion Macht. Und der will mehr davon. Seine jugendlichen Stars platzen vor Aufregung, mit jedem Konzert berühmter und beliebter zu werden – er aber verachtet sie und schlachtet sie aus, bis sie ihm nicht mehr nützen.

Es wäre euphimistisch, zu sagen, Chabo sei ohne Skrupel. Und doch ist er an Grausamkeit durchaus zu überbieten: Die schöne Radioproduzentin Zayan Toraman (Irene Jacoba Holzfurtner) ist geradezu unmenschlich. Sie verachtet die Liebe und alle, die lieben.

Chabo und Zayan gehen einen bösen Pakt ein: Zayan verspricht ihrem einstigen Geliebten Chabo eine Liebesnacht, wenn er ihrer muslimischen Nichte und einer Minderjährigen die Unschuld raubt. Doch auch bei dieser Wette spielt sie nicht mit offenen Karten.

Solch zwischenmenschliche Dekadenz prasselt auf den Zuschauer nieder - der dürfte allerdings nicht ahnungslos sein, denn Nicolai Borger („Vinyl“, „Bartlebeat – Ich will Erfolg“) ließ sich von Choderlos de Laclos’ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von 1782 inspirieren. Das Buch, das nie etwas von seiner Aktualität einbüßte, entlarvte die menschlichen Abgründe der französischen Adelsgesellschaft: Zynismus, Unmoral und systematische Zerstörung zwischenmenschlichen Tiefgangs. Diese Motive verlagert Borger ins heutige Neukölln und in die Musikbranche – Anspielungen auf Casting-Shows und Starmanager Dieter Bohlen sind geschickt eingebaut.

Mit diesem Sehenswerten Theaterstück (Regie: Julia Heymann) bietet das Schauspiel Neukölln eine erschreckend gelungene Inszenierung unserer dia-bohlischen Zeit.
... mehr

Neues Deutschland | 02.04.2004 | von Robert Meyer

Grausamer Egoismus friert die Szenen ein – „Gefährliche Liebschaften“ im Saalbau Neukölln

In „No 14: Gierig – Gefährliche Liebschaften“ nach Motiven des Briefromans des französischen Schriftstellers Pierre Choderlos de Laclos vermisst man Abstraktion und die Leichtigkeit, mit der de Laclos die Themen Egoismus, Konkurrenz und Isolierung im Original angeht. Dafür aber geben Regisseurin Julia Heymann und Autor Nicolai Borger dem Stoff aktuelle Präsenz.

Mit dieser Inszenierung bringt das Schauspiel Neukölln wieder ein bekanntes Werk auf die Bühne und bleibt dabei einem seiner zentralen Anliegen treu. Die Bühne verweist traditionell mit ihrer Arbeit darauf, wie wichtig es ist, menschlich zu bleiben, um nicht in die Gefahr sozialer Isolation zu kommen.

Versetzt wird die Handlung in eine fiktive Neuköllner Musikszene, die von türkischen Clans beherrscht wird. Nicolai Borgers Protagonisten sind eindimensionale Typen, welche die Gier als letzte Konsequenz sehen. Sie ahnen nicht, welcher Selbstzerstörung sie sich aussetzen. Das bösartige Intrigenspiel, das auf der Bühne entfaltet wird. Ist als sich zuspitzendes Psychodrama angelegt. Die Strafe folgt niocht sofort, aber das bittere Ende kommt unweigerlich.

Die Königin der Intrigen, der man im Original begegnet, ist in der Neuköllner Fassung der leichten Muse zugewandt. Irene Jacoba Holzfurtner spielt die sich selbst und Männer hassende muslimische Radiochefin Zayan Toraman, die den ebenso gnadenlos egozentrischen Musikproduzenten David Chabo Harms (David Bredin) zum Werkzeug ihrer Rache macht. Dieser Spielrahmen wird mit guten Ideen gefüllt. An den entscheidenen Stellen wechselt David Bredin in die ausdrucksstarken sprachlichen Metaphern von de Laclos und verdeutlicht damit die Lebensart des egomanischen Musikproduzenten.

Schrille Töne symbolisieren innere Zerrissenheit der Protagonisten. In Szenen, in denen die Gier nach Geld und Sex ihren Gipfel erreicht, bleiben die Schauspieler einfach stehen, Das Bild friert ein.
... mehr